Naturheilkunde, Homöopathie und der mündige Patient

Homöopathie ist keine Naturheilkunde. Dies soll hier zu Anfang klargestellt werden, weil in unserer Praxis Frau Strina und Dr. Stankewitz neben ihrer Spezialisierung in der Allgemeinmedizin eine zusätzlich Subspezialisierung in Naturheilverfahren (NHV) haben. Die Naturheilkunde beruht vor allem auf diätetischen und physikalischen Heilmitteln, legt auf eine naturgemäße Lebensweise besonderen Wert und verzichtet, abgesehen von Heilpflanzen, weitgehend auf Arzneimittel.

Klassische Naturheilverfahren sind Therapien, die im Körper natürliche Reaktionen mit natürlichen Mitteln anregen sollen, wie z. B. Wärme, Kälte, Wasser, Erde, Licht, Luft, Bewegung, Nahrung und Pflanzen. Viele naturheilkundliche Maßnahmen haben ihre Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien bewiesen.

Hinweis für eine naturheilkundliche Denkweise in unserer Praxis ist ein Vergleich unserer Antibiotikaverordnungen mit denen anderer Hausarztpraxen im Gebiet der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo). Das Diagramm der KVNo zeigt, dass wir im ersten Quartal 2023 weniger als die Hälfte vom Durchschnitt der Antibiotikaverordnungen vergleichbarer Hausarztpraxen getätigt haben.

Die Homöopathie ist mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden nicht erklärbar und muss daher in die Nähe einer Glaubensüberzeugung gerückt werden. Beim Ärztetag im Mai 2018 forderte der „Münsteraner Kreis“ aus 20 Wissenschaftlern, Juristinnen, Medizinern, Philosophinnen und Ethikern, die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ für Ärzte abzuschaffen. Initiatorin und Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifertbegründet das so:

„Wir wollten ausloten, wie ein solidarisches Gesundheitswesen verantwortlich und fair mit dem Clash zwischen gefährlicher Pseudowissenschaft und Selbstbestimmung umgehen sollte. Um es deutlich zu sagen: Wir wollten den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinnehmen.“

Die Standardbehandlung in der Homöopathie findet mit „Globuli“ statt. Stellen wir also die einfache Frage: Wirken Globuli oder nicht? Auf die einfache Frage gibt es tatsächlich eine entlarvende Antwort: Globuli enthalten keine Wirkstoffe. Denn sie bestehen aus nichts als Zucker. Auch wenn auf jedem Fläschchen mit den kleinen, weißen Kügelchen ein anderer Name stehen mag, sind ihre Inhalte komplett austauschbar. Das liegt daran, dass sie gemäß der Lehre der Homöopathie „potenziert“ wurden.

Bei der Potenzierung werden bestimmte Ausgangsstoffe für die Globuli so weit verdünnt, dass am Ende in den meisten Fällen kein einziges Molekül des Ausgangsstoffes mehr enthalten ist. In der typischen Potenz C30 zum Beispiel müsste man 3-mal 10^30 Liter des homöopathischen Mittels konsumieren, um ein einziges Molekül des Ausgangsstoffes zu schlucken. Machbar? Nein! Denn das ist mehr als doppelt so viel Wasser, wie in allen Ozeanen der Erde vorhanden ist.

Im Jahre 1796, als die Theorie der Homöopathie von Samuel Hahnemann vorgestellt wurde, gab es die Erkenntnisse über Chemie und Physik nicht, die wir heute haben. Daher wissen wir mittlerweile um die Absurdität der damaligen Überlegungen. Umso erstaunlicher erscheint uns der anhaltende Zuspruch zu dieser alternativen Heilmethode: In einer Umfrage berichten 60 Prozent der Deutschen, schon einmal Globuli eingenommen zu haben.

Der häufigste Anwendungsbereich für homöopathische Globuli sind Erkältungskrankheiten. Unbestritten ist im Übrigen, dass die wirkstofffreien Globuli trotzdem wirken: Es kommt zum Placeboeffekt, d. h. die Selbstheilungskräfte des Körpers werden schon dadurch aktiviert, dass man sich mit Einnahme der Homöopathika der Krankheit nicht mehr einfach ausgeliefert fühlt, sondern eine Kontrolle über das Geschehen zu gewinnen glaubt.

Der Placeboeffekt ist übrigens nicht auf den Kontext der Homöopathie beschränkt. Jede erfahrene Ärztin und jeder erfahrene Arzt sind sich beim Verordnen von Medikamenten seiner bewusst. Ein neues Medikament muss in Wirksamkeitsstudien seine Überlegenheit gegenüber Placebo beweisen. Dies ist noch keinem Homöopathikum gelungen.

Gefährlich kann es werden, wenn bei schweren Erkrankungen wissenschaftlich fundierte, lebensrettende Behandlungen zugunsten der Homöopathie unterlassen werden. Selbst ein eingefleischter Homöopathieanhänger käme sicherlich nicht auf die Idee, einen abgetrennten Arm homöopathisch zu behandeln. Leider gibt es aber Beispiele, wo dies bei ähnlich lebensbedrohlichen Situationen wie bakterielle Sepsis oder Krebserkrankung versucht wurde − mit fatalem Ausgang.

Befürworter der Homöopathie argumentieren, dass der mündige Patient selbst entscheiden soll, was gut für ihn ist. Dann müssen aber auch alle Hintergründe und Informationen auf den Tisch gelegt werden, und vor allem müssen die möglichen Alternativen erörtert werden, wenn bei einer Erkrankung neben der Homöopathie wissenschaftlich anerkannte, sichere und erfolgreiche Behandlungen existieren.

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